Im Rahmen unserer Wochen haben wir den Text „Zuni: Reflections of a Proud Anarchist Ex-Whore“ ins Deutsche übersetzt. Wir möchten ihn hiermit ein breiten Publikum zur Verfügung stellen.
Vorab nochmal unsere eigene Position zu Sexarbeit:
„Gegen jede Arbeit : Solidarität mit Sexarbeiter*innen
Ein Feminismus, der nicht jede Arbeit, Eigentum, Geld und den Staat ablehnt, wird auch automatisch ein falsches Verhältnis zur Sexarbeit entwickeln, entweder indem er sie zu einem Übel erklärt, das (direkt oder indirekt) verboten werden muss oder sie als befreiend und anti-patriarchal verklärt. Wer staatliche Repression fordert und allgemein die Vorstellung hat Menschen durch den Staat, dass heißt Gesetzte und deren Durchsetzung (welche immer staatliche Gewalt erfordern), zu „besseren“ z.B. feministischen Menschen zu erziehen, ist zutiefst autoritär. Es ist kein Wunder, dass der Wunsch nach einem Verbot von Sexarbeit innerhalb linker Kreise meist von staatssozialistischen Feminist*innen kommt.
Genauso wenig solidarisch oder befreiend ist die liberale Antwort – zu ignorieren das Arbeit immer Ausbeutung ist und sie ist in keinster Weise Befreiung vom Patriarchat. Solange Arbeitszwang und der Zwang zur Unterordnung unter Kapitalismus und Staat besteht, kann es keine Befreiung vom Patriarchat geben.“ – unseren ganzen Aufruf findet ihr hier.
Zuni: Reflektionen einer stolzen anarchistischen Ex-Hure
Als ich ein Mädchen war, wollte ich einmal ein*e Prostituierte*r werden. Ich wette, du denkst – Quatsch niemand wächst mit dem Wunsch auf Prostituierte*r zu werden. Ich wollte es nicht in der Grundschule, aber etwa zwei Jahre später in der Highschool schon. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir der Ekel, den ich für den Großteil der Gesellschaft empfand, bewusster. Ich hatte das Gefühl, dass ich einfach nicht dazugehörte. Ich meine die Schule, nur für den Anfang – es fühlte sich an, als würde ich für einen Leben erzogen, in dem ich die Autorität kleinlicher Tyrann*innen zu akzeptieren hatte, die willkürliche Regeln durchsetzten, die wenig Sinn machten. Ich war Vegetarier*in und engagierte mich für die Befreiung der Tiere, und ich konnte mir nicht erklären wie meine Eltern und Gleichaltrigen, die behaupteten Tiere zu lieben, mit industrieller Tierquälerei einverstanden waren. Der Sexismus, er war ein Angriff, überall, jeden Tag. Zuhause, im Fernsehen, auf dem Weg zum Einkaufen. Der eklatante Rassismus – Mensch hatte gerade erst begonnen, über Rassismus als etwas nachzudenken, das hinterfragt werden musste, damals in den frühen 80er Jahren weißen, vorstädtischen Australien. All diese Engstirnigkeit lag vor mir vor mir wie ein Weg in eine vorprogrammierte Banalität mit dem Tod durch tausend Schnittwunden in der Seele, wenn die Langeweile und der Überdruss mich nicht vorher umbrachten.
Als ich vierzehn war, wohnten wir gleich um die Ecke von einem gehobenen Bordell. Ich sah die Frauen ein- und ausgehen, und sie sahen so glamourös und selbstbeherrscht aus, sie schienen mir die perfekte Art von Fick-Dich-Leben zu führen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich begonnen, sexuell aktiv zu werden, und für Sex bezahlt zu werden, schien mir eine kluge Sache zu sein. Etwa zur gleichen Zeit gingen meine Schwester und ich die Straße hinunter, und dieser zufällig vorbeikommende Mann bot uns 50 Dollar an (was damals eine ziemliche Summe war), wenn wir auf ihm stehen könnten, während er einfach auf dem Grünstreifen lag, völlig unempfindlich gegenüber allen vorbeifahrenden Autos. Die Bedingung für die Bezahlung war, dass wir beide fünf volle Sekunden auf ihm stehen mussten, ohne herunterzufallen. Das war wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich meine, wer will kein leicht verdientes Geld, und wenn Männer so verzweifelt und leicht zufrieden zu stellen sind, dann zückt den sprichwörtlichen Stift und meldet mich an! Unnötig zu sagen, dass die Bordelle der Oberen Klasse nicht mein Schicksal waren. Mit der Zeit verfeinerte sich mein Geschmack, und ich fühlte mich zu dem kitschigen Glanz der weniger ansehnlichen Etablissements und Häuser des schlechten Rufs hingezogen. Die Art von Orten, an denen andere Leute vorbeigingen und sich fragten, was für Leute dort wohl überhaupt arbeiten würden, die mich sehr neugierig machten und in die ich eingeweiht werden wollte. Das Arbeiten auf der Straße war anfangs einschüchternd, aber wie bei allen ersten Malen, ist es so das, sobald du eine Grenze überschreitest und dich wirklich außerhalb deiner Komfortzone bewegst, es sich unglaublich befreiend anfühlt.
Ich arbeitete in Bordellen und schäbigen Striptease-Lokalen im Cross, die mit ihrer schrillen, kitschigen Einrichtung prangen.
Ich fand Gefallen an den hochgradig seltsamen Peepshows und ließ mich schließlich in BDSM-Häusern nieder, deren Interieur selbst die erfahrensten Freier einschüchterte.
Ich habe nie sonderlich viel gearbeitet, sondern immer nur das Nötigste. Ich glaube auch nicht, dass ich jemals besonders gut darin war. Ich hielt meine Heroinsucht auf ein Minimum beschränkt, ganz im Einklang mit meinem Ethos, so wenig wie möglich zu arbeiten. Es war (relativ) leicht verdientes Geld, und eine Junkiehure zu sein war genau das, was ich sein wollte. Und es hat Spaß gemacht. Ich hatte so viel Spaß in dieser Zeit meines Lebens, und das gab mir den Luxus, Zeit für all die anderen Dinge zu haben, die mich interessierten. Ein großer Teil meines Lebens war wie eine Party, ich habe mit Freund*innen Häuser besetzt, eine Gemeinschaft aufgebaut, mehr über das Leben außerhalb des Systems gelernt, Kunst gemacht und Unfug getrieben. Das gab mir auch die Möglichkeit, Kurse in den Fächern zu belegen, die mich interessierten. Aber wie bei allem anderen auch, wenn man es lange genug macht, wird es irgendwann langweilig. Das liegt jetzt in meiner Vergangenheit. Ich bin älter und meine Gesundheit ist schlecht, aber diese Entscheidungen, die ich getroffen habe, Sexarbeit zu machen, haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin – eine stolze, reuelose Ex-Junkie-Hure, die immer noch mit fast allen Werten, die diese heuchlerische kapitalistische Gesellschaft vertritt, auf Kriegsfuß steht.
Das hat meine Identität als Anarchist*in stark geprägt. Mein Anarchismus umarmt den sozialen Krieg, im Gegensatz zu den männlich dominierten arbeiteristisch-anarchistischen Strömungen, die von den größtenteils sozial konservativen, moralisierenden und nach Respekt strebenden Typen vertreten werden, die in der anarchistischen Landschaft in diesem Land so häufig anzutreffen sind… der Typ, der seine Rolle als Arbeiter als seine primäre Funktion in der Gesellschaft ansieht und die Infragestellung kapitalistischer, patriarchalischer sozialer Normen als eine irrelevante Ablenkung von der Inbesitznahme der Produktionsmittel betrachtet.
Oder die Reformisten*innen, die die NGO-Kultur und die damit einhergehende Abhängigkeit Seriosität und das Verlassen auf Aufmerksamkeitssuchende Social-Media-Persönlichkeiten, die selbst am Rande der Gesellschaft leben. Warum können wir nicht alles haben? Ja, scheiß auf den Kapitalismus, aber scheiß auch auf die soziokulturelle Überwachung durch den*die Kapitalist*in, die unweigerlich so tief verwurzelt ist, dass sie sich in den sprichwörtlichen Cop verwandelt, der mietfrei in deinem Kopf lebt.
Ich bin stolz darauf, dass ich fest in dem Raum stand, in dem geschmähte Frauen (und Menschen anderen Geschlechts) stehen. Ich habe die Arbeitskultur immer verachtet – die lächerliche Professionalität, mit der Aufgaben zugewiesen werden, mit all den dazugehörigen Hierarchien. All das kleinliche Konkurrenzdenken und die absurden Klassenurteile über das, was man tut. Ich hatte also das Glück, dass ich diesem Unsinn die meiste Zeit meines Arbeitslebens entkommen konnte und Kolleg*innen hatte, die neben mir außerhalb der respektablen Gesellschaft standen. Ein Satz, den ich von einigen Sexarbeiter*innen-Aktivist*innen gehört habe, lautet, dass natürlich niemensch mit dem Wunsch aufwächst, Sexarbeiter*in zu werden, aber dafür spricht meine Erfahrung nicht. Vieles von dem, was viele Sexarbeiter*innen-Aktivist*innen sagen, kann ich nicht nachvollziehen, vor allem, wenn es darum geht, Sexarbeit respektabel zu machen. Ich bin natürlich für die Entkriminalisierung, je weniger mensch mit Bull*innen und Gerichte zu tun hat, desto besser. Allerdings bemühen sich immer mehr Sex Arbeits-Organisationen, Sex Arbeit zu entstigmatisieren, und zwar so sehr, dass Sex Arbeit jetzt so respektabel ist wie etwa eine professionelle*r Masseur*in oder ein*e Therapeut*in. Ich verstehe, dass die Stigmatisierung den Menschen großen Schaden zufügt. Ich persönlich bin jedoch noch nicht bereit, den glorreichen Außenseiter*innenstatus der Prostitution aufzugeben. Wenn man sich in die Mainstream-Gesellschaft und ihre Werte einbringt, richtet das ebenfalls großen Schaden an. Das ist ein heikles Thema, ich weiß. Und, nennen Sie mich seltsam, aber das Recht zu gewinnen Steuern zu zahlen, ist nicht meine Vorstellung von Befreiung. Manche von uns wollen am Rande der Gesellschaft leben.
Wie können sich Sexarbeiter*innen politisch weiterentwickeln, um sich diesem kapitalistischen, patriarchalischen, kolonialen, abgefuckten System, unter dem wir leben, zu widersetzen, wenn ihr Hauptanliegen darin besteht, von eben diesem System gesellschaftlich akzeptiert zu werden? Wie können Sexarbeiter*innen-Organisationen, die von den Regierungen wohlhabender Länder finanziert werden, diese Impulse in ihren Gemeinschaften bewahren, fördern und widerspiegeln und gleichzeitig die Forderungen ihrer Geldgeber*innen erfüllen? Ich bin davon überzeugt, dass dies möglich sein muss, wenn auch nicht ohne ein hohes Maß an Bewusstsein, Entschlossenheit und Geschick bei der Überbrückung dieser beiden gegensätzlichen Kräfte. Sexarbeiter*innen haben nicht alle dieselbe Stimme. Es liegt an den Sexarbeiter*innen-Organisationen, nicht zuzulassen, dass die Stimmen radikaler politischer Huren (dieselbe Radikalität, die unsere Organisationsgeschichte ausmacht) unter den Zielen und der kurzsichtigen Bürokratie, die von staatlichen Geldgeber*innen vorangetrieben werden, untergebuttert werden.
Als stolze Ex-Hure beschwöre ich jüngere Sexarbeiter*innen, den Aufbau von gesellschaftlichen Kapital abzulehnen, sich die Ablehnung der Mainstream-Gesellschaft zu eigen zu machen, sich so weit wie möglich zu radikalisieren, alle politischen und sozialen Werte in Frage zu stellen, in die wir indoktriniert wurden, politisch radikale Texte zu lesen, aus der radikalen Geschichte zu lernen, sich mit Freund*innen, anderen Ausgestoßenen und Kamerad*innen zusammenzutun und Ärger zu machen, Unfug zu stiften und Scheiße zu bauen. Seid stolz darauf, ein Mitglied der schönen und mutigen Ausgestoßenen der Gesellschaft zu sein. Seid stolz darauf, dass Huren historisch gesehen alle anderen radikalen Bewegungen um sie herum umarmt haben und nicht nur für die sexuelle Befreiung, sondern für die GESAMTE Befreiung gekämpft haben. Denn es sind die Ränder der Gesellschaft, an denen wir nicht nur lieben, tanzen und kämpfen, sondern das ist unsere wahre Macht – am Rande zu leben. Die wirksamsten Feind*innen des Staates sind diejenigen, die nichts mehr zu verlieren haben. Und sobald wir alles verlieren, haben wir die ganze Welt zu gewinnen.
Zuni Reflektionen einer stolzen anarchistischen Ex-Hure
Als ich ein Mädchen war, wollte ich einmal ein*e Prostituierte*r werden. Ich wette, du denkst – Quatsch niemand wächst mit dem Wunsch auf Prostituierte*r zu werden. Ich wollte es nicht in der Grundschule, aber etwa zwei Jahre später in der Highschool schon. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir der Ekel, den ich für den Großteil der Gesellschaft empfand, bewusster. Ich hatte das Gefühl, dass ich einfach nicht dazugehörte. Ich meine die Schule, nur für den Anfang – es fühlte sich an, als würde ich für einen Leben erzogen, in dem ich die Autorität kleinlicher Tyrann*innen zu akzeptieren hatte, die willkürliche Regeln durchsetzten, die wenig Sinn machten. Ich war Vegetarier*in und engagierte mich für die Befreiung der Tiere, und ich konnte mir nicht erklären wie meine Eltern und Gleichaltrigen, die behaupteten Tiere zu lieben, mit industrieller Tierquälerei einverstanden waren. Der Sexismus, er war ein Angriff, überall, jeden Tag. Zuhause, im Fernsehen, auf dem Weg zum Einkaufen. Der eklatante Rassismus – Mensch hatte gerade erst begonnen, über Rassismus als etwas nachzudenken, das hinterfragt werden musste, damals in den frühen 80er Jahren weißen, vorstädtischen Australien. All diese Engstirnigkeit lag vor mir vor mir wie ein Weg in eine vorprogrammierte Banalität mit dem Tod durch tausend Schnittwunden in der Seele, wenn die Langeweile und der Überdruss mich nicht vorher umbrachten.
Als ich vierzehn war, wohnten wir gleich um die Ecke von einem gehobenen Bordell. Ich sah die Frauen ein- und ausgehen, und sie sahen so glamourös und selbstbeherrscht aus, sie schienen mir die perfekte Art von Fick-Dich-Leben zu führen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich begonnen, sexuell aktiv zu werden, und für Sex bezahlt zu werden, schien mir eine kluge Sache zu sein. Etwa zur gleichen Zeit gingen meine Schwester und ich die Straße hinunter, und dieser zufällig vorbeikommende Mann bot uns 50 Dollar an (was damals eine ziemliche Summe war), wenn wir auf ihm stehen könnten, während er einfach auf dem Grünstreifen lag, völlig unempfindlich gegenüber allen vorbeifahrenden Autos. Die Bedingung für die Bezahlung war, dass wir beide fünf volle Sekunden auf ihm stehen mussten, ohne herunterzufallen. Das war wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Ich meine, wer will kein leicht verdientes Geld, und wenn Männer so verzweifelt und leicht zufrieden zu stellen sind, dann zückt den sprichwörtlichen Stift und meldet mich an! Unnötig zu sagen, dass die Bordelle der Oberen Klasse nicht mein Schicksal waren. Mit der Zeit verfeinerte sich mein Geschmack, und ich fühlte mich zu dem kitschigen Glanz der weniger ansehnlichen Etablissements und Häuser des schlechten Rufs hingezogen. Die Art von Orten, an denen andere Leute vorbeigingen und sich fragten, was für Leute dort wohl überhaupt arbeiten würden, die mich sehr neugierig machten und in die ich eingeweiht werden wollte. Das Arbeiten auf der Straße war anfangs einschüchternd, aber wie bei allen ersten Malen, ist es so das, sobald du eine Grenze überschreitest und dich wirklich außerhalb deiner Komfortzone bewegst, es sich unglaublich befreiend anfühlt. Ich arbeitete in Bordellen und schäbigen Striptease-Lokalen im Cross, die mit ihrer schrillen, kitschigen Einrichtung prangen. Ich fand Gefallen an den hochgradig seltsamen Peepshows und ließ mich schließlich in BDSM-Häusern nieder, deren Interieur selbst die erfahrensten Freier einschüchterte.
Ich habe nie sonderlich viel gearbeitet, sondern immer nur das Nötigste. Ich glaube auch nicht, dass ich jemals besonders gut darin war. Ich hielt meine Heroinsucht auf ein Minimum beschränkt, ganz im Einklang mit meinem Ethos, so wenig wie möglich zu arbeiten. Es war (relativ) leicht verdientes Geld, und eine Junkiehure zu sein war genau das, was ich sein wollte. Und es hat Spaß gemacht. Ich hatte so viel Spaß in dieser Zeit meines Lebens, und das gab mir den Luxus, Zeit für all die anderen Dinge zu haben, die mich interessierten. Ein großer Teil meines Lebens war wie eine Party, ich habe mit Freund*innen Häuser besetzt, eine Gemeinschaft aufgebaut, mehr über das Leben außerhalb des Systems gelernt, Kunst gemacht und Unfug getrieben. Das gab mir auch die Möglichkeit, Kurse in den Fächern zu belegen, die mich interessierten. Aber wie bei allem anderen auch, wenn man es lange genug macht, wird es irgendwann langweilig. Das liegt jetzt in meiner Vergangenheit. Ich bin älter und meine Gesundheit ist schlecht, aber diese Entscheidungen, die ich getroffen habe, Sexarbeit zu machen, haben mich zu dem gemacht, was ich heute bin – eine stolze, reuelose Ex-Junkie-Hure, die immer noch mit fast allen Werten, die diese heuchlerische kapitalistische Gesellschaft vertritt, auf Kriegsfuß steht. Das hat meine Identität als Anarchist*in stark geprägt. Mein Anarchismus umarmt den sozialen Krieg, im Gegensatz zu den männlich dominierten arbeiteristisch-anarchistischen Strömungen, die von den größtenteils sozial konservativen, moralisierenden und nach Respekt strebenden Typen vertreten werden, die in der anarchistischen Landschaft in diesem Land so häufig anzutreffen sind… der Typ, der seine Rolle als Arbeiter als seine primäre Funktion in der Gesellschaft ansieht und die Infragestellung kapitalistischer, patriarchalischer sozialer Normen als eine irrelevante Ablenkung von der Inbesitznahme der Produktionsmittel betrachtet.
Oder die Reformisten*innen, die die NGO-Kultur und die damit einhergehende Abhängigkeit Seriosität und das Verlassen auf Aufmerksamkeitssuchende Social-Media-Persönlichkeiten, die selbst am Rande der Gesellschaft leben. Warum können wir nicht alles haben? Ja, scheiß auf den Kapitalismus, aber scheiß auch auf die soziokulturelle Überwachung durch den*die Kapitalist*in, die unweigerlich so tief verwurzelt ist, dass sie sich in den sprichwörtlichen Cop verwandelt, der mietfrei in deinem Kopf lebt.
Ich bin stolz darauf, dass ich fest in dem Raum stand, in dem geschmähte Frauen (und Menschen anderen Geschlechts) stehen. Ich habe die Arbeitskultur immer verachtet – die lächerliche Professionalität, mit der Aufgaben zugewiesen werden, mit all den dazugehörigen Hierarchien. All das kleinliche Konkurrenzdenken und die absurden Klassenurteile über das, was man tut. Ich hatte also das Glück, dass ich diesem Unsinn die meiste Zeit meines Arbeitslebens entkommen konnte und Kolleg*innen hatte, die neben mir außerhalb der respektablen Gesellschaft standen. Ein Satz, den ich von einigen Sexarbeiter*innen-Aktivist*innen gehört habe, lautet, dass natürlich niemensch mit dem Wunsch aufwächst, Sexarbeiter*in zu werden, aber dafür spricht meine Erfahrung nicht. Vieles von dem, was viele Sexarbeiter*innen-Aktivist*innen sagen, kann ich nicht nachvollziehen, vor allem, wenn es darum geht, Sexarbeit respektabel zu machen. Ich bin natürlich für die Entkriminalisierung, je weniger mensch mit Bull*innen und Gerichte zu tun hat, desto besser. Allerdings bemühen sich immer mehr Sex Arbeits-Organisationen, Sex Arbeit zu entstigmatisieren, und zwar so sehr, dass Sex Arbeit jetzt so respektabel ist wie etwa eine professionelle*r Masseur*in oder ein*e Therapeut*in. Ich verstehe, dass die Stigmatisierung den Menschen großen Schaden zufügt. Ich persönlich bin jedoch noch nicht bereit, den glorreichen Außenseiter*innenstatus der Prostitution aufzugeben. Wenn man sich in die Mainstream-Gesellschaft und ihre Werte einbringt, richtet das ebenfalls großen Schaden an. Das ist ein heikles Thema, ich weiß. Und, nennen Sie mich seltsam, aber das Recht zu gewinnen Steuern zu zahlen, ist nicht meine Vorstellung von Befreiung. Manche von uns wollen am Rande der Gesellschaft leben. Wie können sich Sexarbeiter*innen politisch weiterentwickeln, um sich diesem kapitalistischen, patriarchalischen, kolonialen, abgefuckten System, unter dem wir leben, zu widersetzen, wenn ihr Hauptanliegen darin besteht, von eben diesem System gesellschaftlich akzeptiert zu werden? Wie können Sexarbeiter*innen-Organisationen, die von den Regierungen wohlhabender Länder finanziert werden, diese Impulse in ihren Gemeinschaften bewahren, fördern und widerspiegeln und gleichzeitig die Forderungen ihrer Geldgeber*innen erfüllen? Ich bin davon überzeugt, dass dies möglich sein muss, wenn auch nicht ohne ein hohes Maß an Bewusstsein, Entschlossenheit und Geschick bei der Überbrückung dieser beiden gegensätzlichen Kräfte. Sexarbeiter*innen haben nicht alle dieselbe Stimme. Es liegt an den Sexarbeiter*innen-Organisationen, nicht zuzulassen, dass die Stimmen radikaler politischer Huren (dieselbe Radikalität, die unsere Organisationsgeschichte ausmacht) unter den Zielen und der kurzsichtigen Bürokratie, die von staatlichen Geldgeber*innen vorangetrieben werden, untergebuttert werden.
Als stolze Ex-Hure beschwöre ich jüngere Sexarbeiter*innen, den Aufbau von gesellschaftlichen Kapital abzulehnen, sich die Ablehnung der Mainstream-Gesellschaft zu eigen zu machen, sich so weit wie möglich zu radikalisieren, alle politischen und sozialen Werte in Frage zu stellen, in die wir indoktriniert wurden, politisch radikale Texte zu lesen, aus der radikalen Geschichte zu lernen, sich mit Freund*innen, anderen Ausgestoßenen und Kamerad*innen zusammenzutun und Ärger zu machen, Unfug zu stiften und Scheiße zu bauen. Seid stolz darauf, ein Mitglied der schönen und mutigen Ausgestoßenen der Gesellschaft zu sein. Seid stolz darauf, dass Huren historisch gesehen alle anderen radikalen Bewegungen um sie herum umarmt haben und nicht nur für die sexuelle Befreiung, sondern für die GESAMTE Befreiung gekämpft haben. Denn es sind die Ränder der Gesellschaft, an denen wir nicht nur lieben, tanzen und kämpfen, sondern das ist unsere wahre Macht – am Rande zu leben. Die wirksamsten Feind*innen des Staates sind diejenigen, die nichts mehr zu verlieren haben. Und sobald wir alles verlieren, haben wir die ganze Welt zu gewinnen.